FINALE GESCHICHTEN AUS DER GROSSEN STADT

XXIII. MÜNCHEN

 

Sie sind angekommen. An einem Winterabend, noch dazu an einem weißen. Seit Oktober 2001 konnte man sich mit den Geschichten aus der großen Stadt auf literarische Reisen nach Berlin, Leipzig, Hamburg, Köln, Paris, Wien und die gesamte Schweiz begeben. Doch erst der 23. Teil der Zündfunk-Lesereihe wurde zum langersehnten Heimspiel, endlich „Endlich München“. Während München unter einer eisigen Schneedecke verschwand, präsentierten im Kilombo acht Autoren acht Texte, die in der Stadt spielen oder diese zum Gegenstand haben.

„Ostersonntag“ heißt der im Februar bei Kiepenheuer & Witsch erscheinende Roman von Harriet Köhler, ein Debütwerk, das zugleich den Auftakt der gestrigen Veranstaltung bildete. Nur zu gerne hätte man mehr erfahren über den aus der Perspektive von vier Familienmitgliedern aufgerollten Alltag, hinter dessen Fassade ein zu enthüllendes, dunkles Geheimnis wartet, wie es wohl allerorts zu finden sein mag. Da jeder Schattenseite aber bekanntlich das Licht gegenübersteht, gab es mit „Kind oder Zwerg“ (Daniel Grohn, DVA) einen humoristischen Einblick in das Leben des Journalisten Poninger, der sich als Patient in eine psychiatrische Klinik einweisen läßt, um eine Reportage über die dort vermuteten Mißstände zu schreiben.

Während dieses Buch in einer Stadt spielt, die viele Ähnlichkeiten mit München aufweist, war es bei anderen Lesungen weitaus schwieriger, den Zusammenhang zum Themenabend herzustellen. Neben dem von Christoph Kastenbauer exemplarisch vorgestellten Arbeitsprojekt „München, letzte Ampel vor Jesolo“, das sich als temporeiche Verknüpfung zynischer Gedankenketten vor heimischer Kulisse entpuppte, erschien der von Friedrich Ani gewählte Textausschnitt aus „Die Idylle der Hyänen“ (Zsolnay) trotz hervorragender Präsentation nur die lokale Verbindung durch den in München lebenden Schriftsteller innezuhaben.

Ganz anders dagegen die „Stüberlsafari“ von Richard Oehmann („Doctor Döblingers geschmackvolles Kasperltheater“). Die bayerischen Erlebnisgeschichten aus der Münchner Gastronomie sind alles andere als bierernst, sondern einfach nur „saukomisch“ und erschreckend authentisch, wenn es darum geht, das zu jeder „Boazn“ gehörende eigene Publikum zu karikieren. In der Geschichte „Fremdkörper“ dagegen versucht die Erzählerin während eines Spaziergangs erfolglos, gegen ihre Erinnerungen anzukämpfen, zugleich ein Versuch der Autorin Nora Scholz, die Stadt München aus einer anderen Perspektive zu schildern.

Die Autoren (v.l.n.r.): H. Köhler, Ch. Kastenbauer, D. Grohn, F. Ani, R. Oehmann, N. Scholz, FX Karl u. G.M. Oswald
(Photos privat, H. Köhler © Urban Zintel, F. Ani © Peter von Felbert)

„München als aufgeblähte Kuh, die in der Isar treibt“ und der „Gärtnerplatz als Platz, an dem immer Samstag Nachmittag zu sein scheint“, „München als guter Grund, um weg zu sein“ – Überlegungen und Fragen von FX Karl. In der Erzählung „Das große Muh“ bietet der BR-Redakteur genügend Anlaß, seine Stadt gleichzeitig zu lieben und zu verachten. Zum Schluß Georg M. Oswald, dessen Protagonist aus „Vom Geist der Gesetze“ (erscheint voraussichtlich im Herbst) durchaus einer der zahlreich anwesenden Kilombo-Gäste an diesem Abend hätte sein können, womit zugleich ein letztes Kapitel Kneipenkultur in der Au aufgeschlagen wurde.

Am 31.03. schließt Christian Blau das Kilombo, und die Geschichten aus der großen Stadt werden sich dann einstweilen wieder lautlos in stummen Großstadtgassen verlieren.

Petra Umlauf (28. Januar 2007)

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