Hörspiel-Kult: Die Drei Fragezeichen
Im Ton-Studio
Wie in der Augsburger Puppenkiste

 

 © Irena Güttel

 In Aktion: Jens Wawrczeck, Oliver Rohrbeck und Andreas Fröhlich (v.l.n.r.) beim 114. Mal "Drei Fragezeichen"

 

Auf dem Klingelschild der Jugendstil-Villa steht "Tonstudio Körting". Die Tür öffnet sich in eine große Empfangshalle, die wie die knarschenden Holzstufen mit Läufern ausgelegt ist. Im zweiten Stock warten bereits drei ältere Damen im Pausenraum. Auf einem Tisch stehen Kuchen, Plätzchen, Kaffee, Tee und Cola. Eva-Maria Bauer, Hanni Vanhaiden und Hannelore Wüst unterhalten sich angeregt. Doch dann steht André Minninger in der Tür und führt die drei prominenten Synchronsprecherinnen in das Ton-Studio. Nun sind sie an der Reihe.

Ein dicker, grauer Teppich dämpft die Schritte. Hinter einer Doppeltür befindet sich der Aufnahmeraum. An dem runden Tisch in der Mitte des Raums sitzen bereits Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich. Die drei waren schon öfter im Tonstudio Körting - genauer gesagt: 114 Mal. Als Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews, besser bekannt als "Die Drei Fragezeichen", waren sie bei jeder Folge der Hörspiel-Serie dabei.

Unzählige Schalter und Knöpfe
Zwar nicht zu hören, aber auch immer dabei: Heikedine Körting, die Besitzerin des Tonstudios und Regisseurin der Hörspiele. Gemeinsam mit Drehbuch-Autor André Minninger sitzt sie im Nachbarraum vor einem Mischpult mit unzähligen Schaltern und Knöpfen. Während der Aufnahme hat sie immer ein Auge auf der Aussteuerung. Durch eine Fensterscheibe können Körting und Minninger alles sehen, was im Aufnahmeraum vor sich geht. Über den Lautsprecher gibt die Regisseurin den Sprechern Anweisungen.

Bevor die Aufnahme startet, lesen sie die Szene aus den vorliegenden Manuskripten einmal laut vor. Minniger hat aus der Buchvorlage "Die Villa der Toten" ein 31-seitiges Drehbuch geschrieben. Schon vor einigen Monaten hat er allen Darstellern das Skript zugesandt, damit sie sich auf ihre Rolle vorbereiten können. Bei der Sprechprobe kann Körting die Mikros an die Stimmlagen der Sprecher anpassen. Dann startet sie das Aufnahmeband und es kann losgehen.

Keuchen und stockender Atem
Der Aufnahmeraum wandelt sich augenblicklich in eine Theaterbühne. Die Sprecher steigern sich in die Szene hinein, bilden Charaktere aus und agieren untereinander. Zwischendurch hält Körting das Band an und gibt Tipps: "Frau Bauer, bitte etwas bunter sprechen". Dann geht es weiter in der Szene. Damit es authentisch wirkt, ahmen Rohrbeck, Wawrczeck und Fröhlich Geräusche nach. In Action-Szenen keuchen sie außer Puste und in dramatischen Pausen stockt ihnen im wahrsten Sinne des Wortes der Atem. "Wir arbeiten auch mit Requisiten, um eine echte Atmosphäre zu erzeugen", erklärt Minninger, der auch für die Effekte zuständig ist.

Für eine Szene hat Oliver Rohrbeck seinen Rucksack mitgebracht, in dem er als Justus Jonas nach einem Aufnahmegerät kramt. "Die Mikros sind hochsensibel", sagt Körting. "Sie nehmen jedes Geräusch auf". Deswegen ist sie gar nicht zufrieden mit den Tönen, die das Aufnahmegerät erzeugt. "Die laufende Kassette muss noch besser rauskommen". Und schon stürmt die agile Tonregisseurin aus dem Studio, um einen tragbaren Kassettenrecorder im Haus aufzutreiben. Ständige Requisite ist ein uraltes, schwarzes Telefon, das in jeder Folge mindestes einmal im Einsatz ist. Sein Klingeln kündigt fast immer einen neuen Fall an. Rohrbeck nimmt den schweren Hörer ab: "Ja, Justus Jonas von den Drei Detektiven".

 

 © Irena Güttel

 Durchlebter Fleiß: André Minninger und Heikedine Körting machen alles von Hand

 

Witze und Versprecher
Körting legt großen Wert darauf, dass ihre Aufnahmen nicht geschauspielert wirken. "Die Lebhaftigkeit und Natürlichkeit muss rüber kommen", meint sie. Deswegen lässt sie den Sprechern freie Hand, wie sie die Rollen ausspielen: Improvisieren und Abweichen vom Skript ist erlaubt. Da kann auch schon mal ein derber Witz mit einfließen. "Das ist wohl weniger für ein Kinder-Hörspiel geeignet", ermahnt Körting die Schauspieler. Schon stoppt sie wieder das Band, spult zurück und lässt Fröhlich seinen Dialog wiederholen. "Auch Versprecher gehören einfach dazu", sagt sie.

Nach nicht ganz fünf Stunden sind die Sprachaufnahmen fertig. Ein Rekord: Auch die Sprecher sind überrascht. "Die Folge ist kürzer als die anderen", meint Wawrczeck überzeugt. "Nein, sie ist sogar länger. Aber wir hatten noch nie so viele Nebenrollen", antwortet Minninger. Also bleibt weniger Text für die drei Detektive. "Nach den 25 Jahren sind die Jungs sehr routiniert im Gestalten der Rollen. Früher haben wir schon für kürzere Szenen ein ganzes Wochenende gebraucht", ergänzt Körting.

Wie in der Augsburger Puppenkiste
Während sich Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich auf den Heimweg machen, liegt vor Körting und Minninger noch das größte Stück Arbeit. Sie müssen aus zwölf Rollen Rohmaterial mit je 50 Minuten Spielzeit ein Hörspiel schustern. Eine Cutterin unterstützt sie dabei: Sie hört sich die verschiedenen Versionen der Szenen an, entscheidet welche die beste ist und schneidet dann alle chronologisch aneinander. Danach spielt Minninger die Hintergrundgeräusche auf das Band. Auch die sind, wie alles im Studio, selbst gemacht. Die Regale an den Wänden beherbergen sein Archiv. Hier stapeln sich Tonbänder mit Telefongeklingel, Schritten, Regen und natürlich Musik. "Es ist hier wie in der Augsburger Puppenkiste, wir machen alles von Hand", sagt Minninger grinsend.

Insgesamt dauert es vier Wochen bis das komplette Hörspiel fertig ist. "Unsere Hörspiele leben vom durchlebten Fleiß", erzählt Körting schmunzelnd. Da sie in ihrem Studio nur analoge Technik verwendet, gehört zu einer Aufnahme eine Menge Bastelarbeit. Dennoch hält Körting nichts von digitalen Aufnahmen. "So ist es einfach originaler". Außerdem behalten die Tonbänder ihre Qualität. "Bänder von vor 20 Jahren sind immer noch astrein. Das ist ein Archiv für die Ewigkeit." In diesem Jahr haben Heikedine Körting und André Minninger schon sieben "Drei Fragezeichen"-Folgen fertig gestellt. Die nächste ist schon in Planung. "Wir sind mordsfleißig", erklärt Körting stolz. Für heute ist aber erstmal Schluss. "Die nächsten Tage werden hart genug", sagt Körting und löscht das Licht im Studio.

Irena Güttel

 
 

Zum Original-Artikel von stern.de vom 13.12.2003

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