+ Rocky Beach ist wachsam (Süddeutsche Zeitung vom 11..03.2003) +

 

Rocky Beach ist wachsam
Marco Sonnleitner ist der neue Autor der Kult-Reihe "Die drei ???" - die Fans passen auf, dass er nichts falsch macht

Von Tanja Rest

  

  

  

Vielleicht hätte Marco Sonnleitner, 37 Jahre alt, gebürtiger Münchner, seit einiger Zeit Gymnasiallehrer in Memmingen, an jenem Erscheinungstag seines ersten Buches - also, vielleicht hätte Herr Sonnleitner am 7. Februar 2003 besser nicht die Seite rocky-beach.com aufgerufen und ins Diskussionsforum geschaut. Dort schreibt der User "Pamir" über die Folge "Gefährliches Quiz": "Habe das Buch jetzt durch. Sehr abstruse Story. Peter ist ständig am Motzen, und man hat den Eindruck, daß Peter und Bob nur herumalbern, obwohl die Situation recht ernst ist. Des weiteren möchte ich gerne mal wissen, warum Sonnleitner immer wieder von Justus Jupiter Jonas spricht. Als dann auch noch Justus` Satz 'Herr, schmeiß Hirn vom Himmel' kam, fragte ich mich, ob Rocky Beach eine oberbayrische Kleinstadt ist."
Rocky Beach ist keine oberbayerische Kleinstadt. "Pamir" weiß das. Sonnleitner weiß das, Millionen Leser wissen das. Allen anderen sei gesagt, dass es sich bei Rocky Beach um ein gänzlich fiktives kalifornisches Küstenkaff handelt, in dem drei nicht minder fiktive Jungs seit nunmehr 35 Jahren mysteriöse Rätsel lösen. Erster Detektiv: Justus Jonas; Zweiter Detektiv: Peter Shaw; Recherchen und Archiv: Bob Andrews. Bis heute haben "Die drei ???" 111 Fälle geknackt; die Nummern 109 ("Gefährliches Quiz") und 110 ("Panik im Park") gehen auf Sonnleitners Konto. "Ein irrer Zufall", sagt er. "Normalerweise kommt man in dieses Autorenteam gar nicht rein."
Zuerst hatte der Gelegenheits-Schriftsteller nämlich ein ganz anderes Script an den Kosmos Verlag geschickt: "Tom O`Donnel", eine Fantasy-Geschichte, die mittlerweile bei Wißner erschienen ist. Von der Kosmos-Lektorin gab`s damals eine Absage und ein Angebot: Einer von insgesamt vier Autoren der erfolgreichsten deutschen Jugendkrimi-Reihe sei ausgefallen. Ob er mit den "drei Fragezeichen" etwas anfangen könne? "Und die Bücher hatte ich natürlich gelesen, bestimmt 30 Stück, als ich zehn Jahre alt war." Sonnleitnr sagte leichten Herzens zu. Dass er ein schweres, sogar hoch brisantes Erbe amtreten würde, ist ihm erst später klar geworden.
Das erste Buch, "Die drei ??? und das Gespensterschloss", erschien im Jahr 1968. Geschrieben hatte es der Amerikaner Robert Arthur, aber auf dem Cover prangte schon damals das Schwarzweiß-Porträt eines dicken Herrn in Denkerpose. Dass Alfred Hitchcock neben seiner Tätigkeit als Regisseur auch noch reihenweise Bücher schreiben konnte, in denen er zum Teil selbst auftrat (als väterlicher Freund der drei Detektive) - für die jugendliche Leserschafdt war es ein beständiger Quell ehrfürchtigen Erschauerns. Tatsächlich hatte der Meister des Suspense bloß seinen Namen an die Krimireihe ausgeliehen. Der Deal mit Hitchcock, der 23 Jahre nach seinem Tod noch immer als Autor genannt wird, machte die drei ??? berühmt, besonders in Deutschland. In den USA wurde die Reihe mach 56 Folgen eingestellt; danach gingen die Rechte an den Stuttgarter Kosmos Verlag über.
Als Marco Sonnleitner mit der Arbeit an "Gefährliches Quiz" begann, lag neben ihm ein dickes Handbuch, angefüllt mit den Konstanten einer mittlerweile kultisch verehrten Serie, eine Art ???-Gebrauchsanweisung.

  

Dort ist aufgelistet, was jeder Autor wissen muss: dass Bob einen gelben Käfer fährt; dass Peters Vater als Mann für Special Effects beim Film arbeitet; dass Justus mit zweitem Namen Jupiter heißt; dass es von Rocky Beach nach L.A. mit dem Auto exakt 21 Meilen sind, während die Luftlinie 15 Meilen beträgt. "Und glauben Sie mir, wenn ich in meinem Buch etwas schreibe, und in Band 3 auf Seite 47 stand etwas anderes - dann kommt das raus." Beäugt, auf kleinste Schnitzer hin durchleuchtet und heftig debattiert wird Sonnleitners Schaffen nämlich von einer Fangemeinde, die auf der Internetseite rocky-beach.com tagtäglich ihre kritische Stimme erhebt. "Als feststand, dass ich als Autor verpflichtet wurde, gingen dort sofort die ersten E-mails ein, nach dem Motto: Was`n das für einer?", berichtet Sonnleitner und lächelt ein bisschen gequält.
Der Prototyp eines ???-Fans ist männlich, zwischen 20 und 30 Jahren alt, hat alle 111 Bände mehrfach gelesen und begreift sich als Hüter der ???-Überlieferungen. Will es sich ein Autor mit ihm nicht verderben, sollte er die Fakten möglichst nicht vermasseln, sowie die folgenden Faustregeln berücksichtigen: 1. Kein Blut. 2. Keine Politik. 3. Und um Gottes Willen: kein Sex! Die Autorin Brigitte-Johanna Henkel-Waidhofer hatte in den 60-er Bänden das Unaussprechliche getan und Justus, Peter und Bob Freundinnen verpasst. "Was Frauen angeht, da sind die Fans sehr konservativ", sagt Sonnleitner. "Das kam gar nicht gut an." Was von Lys, Elisabeth und Kelly zum Zeitpunkt von "Gefährliches Quiz" noch übrig geblieben war, musste er auf Verlagsbitte hin "weiter marginalisieren."
Ebenfalls der Zensur zum Opfer fielen: Peters Verunglimpfung eines miesen Zeitgenossen als "du Scheißkerl!" (keine Fäkalausdrücke) und die Erwähnung von Brad Pitt und Anthony Hopkins (keine Verweise auf reale Personen). Womit das ???-Paralleluniversum in Band 109 dann wieder ziemlich perfekt wäre: ein amerikanisches Kleinstadtelysium, in dem nie jemand stirbt, Detektive immer Sommerferien haben und jedes Rätsel innerhalb von 128 Seiten gelöst wird; wo die ???-Zentrale zwar einen Internet-Anschluss bekommen hat, Justus, Peter und Bob seit 1968 aber nur um vier Jahre gealtert sind. Nicht unbedingt der Ort, an dem ein Autor Preise gewinnen kann. Aber austoben, sagt Sonnleitner, könne er sich ja woanders. "Ich mag es, mir diese Geschichten auszudenken. Auch wenn ich dabei ein festgelegtes Instrumentarium benutze und, naja, die Fans manchmal etwas anstrengend sind."
Bei rocky-beach.com hat Sonnleitners Debüt nach einigen Tagen übrigens rund 50 Prozent Zustimmung gefunden. An die verbliebenen Mäkler wandet sich der User "Sauron" mit einem emotionalen Appell: "Leute, Leute! Nu macht aber mal halblang. Der arme Jung ist noch ganz frisch, und man merkt schon, dass er Potential hat. Vergrault den Herrn Sonnleitner doch bitte nicht schon vor der ersten Zeile!" Kein Grund zur Sorge: der "arme Jung" will erst mal weiter machen.

Dieser Artikel wurde ungekürzt aus der Süddeutschen Zeitung übernommen. Die Urheberrechte liegen bei der Autorin des Artikels, Tanja Rest und der Süddeutschen Zeitung.


 

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