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Orson Welles´ Original

Mein Gott, es windet sich wie eine Schlange

Ja, die gute alte Zeit: Überfüllte Notaufnahmen, aufgelöste Bürger. Als Orson Welles sein Hörspiel vom „Krieg der Welten“ sendete, geriet Amerika in Panik. Mitbekommen? Wegen eines Hörspiels!

ANDRIAN KREYE


Welles im Studio

Der Aufruhr gilt als Meilenstein in der Geschichte der Massenmedien: Als die American Broadcasting Corporation am Abend des 30. Oktober 1938 Orson Welles’ Hörspielfassung des Science-Fiction-Romans „Krieg der Welten“ ausstrahlte, brach an der Ostküste eine Massenpanik aus. Der damals 24-jährige Filmregisseur hatte die Geschichte vom Angriff der Marsmännchen aus dem Buch des britischen Science-Fiction-Schriftstellers H.G. Wells für amerikanische Radiohörer nach New Jersey verlegt und als fiktive Reportage inszeniert.

Die Sendung begann mit einem prosaischen Wetterbericht und der Ansage, man werde nun aus dem Meridian Room des New Yorker Park Plaza Hotels die Musik von Ramón Raquellos Tanzorchester übertragen. Nun gab es weder das Hotel noch das Orchester, auch hatte ein Sprecher zu Anfang der Sendung deutlich darauf hingewiesen, dass nun ein Hörspiel des bekannten Mercury Theater on the Air übertragen werde. Doch als die belanglose Tanzmusik von mehreren Nachrichtendurchsagen unterbrochen wurde, die von mysteriösen Gasexplosionen auf dem Planeten Mars und von einem Meteoriteneinschlag auf eine Farm bei Grovers Mill in New Jersey berichtete, machte sich im ganzen Land Unruhe breit.

Mit dramaturgischer Raffinesse dehnte Welles über eine Stunde hinweg einen grandiosen Spannungsbogen. Er platzierte einen Reporter und einen Astronomieprofessor neben den Einschlagskrater, die einen metallischen Zylinder beschrieben, der sich vor den Ohren der Zuhörer mit lautem Ächzen öffnete, woraufhin der vermeintliche Reporter mit hörbarem Entsetzen in der Stimme berichtete: „Mein Gott, da windet sich irgend etwas wie eine graue Schlange aus dem Schatten.“ Dieser erste Außerirdische setzte zunächst eine Scheune und ein Feld in Flammen. Doch schon bald klang es, als fiele eine ganze Armee grauslich anzusehender Monster über die Ostküste her und liefere sich mit amerikanischen Truppen eine heftige Schlacht, der Zehntausende Soldaten und Zivilisten zum Opfer fielen. Entlang der gesamten Küste wurden angeblich neue Raumschiffe der feindlichen Außerirdischen gemeldet, die nichts anderes im Sinn hatten, als sich den Planeten Erde untertan zu machen. Als das einstündige Hörspiel kurz vor neun Uhr abends mit dem Livebericht des Astronomieprofessors endete, der alleine durch die zerstörten Straßen Manhattans irrte, streunenden Hunden begegnete, die verbranntes Fleisch im Maul trugen, schließlich eine ganze Armada stählerner Raumschiffe im Central Park entdeckte sowie eine ganze Armee toter Marsmenschen, die irdische Viren und Bakterien dahingerafft hatten, als alle Schlachten in diesem „Krieg der Welten“ geschlagen waren, da kamen die verschmitzten Schlussworte Orson Welles’, die Zuhörer sollten sich doch noch lange an diesen Halloweenscherz des Radiotheaters erinnern, längst zu spät.

An der hochangesehenen Princeton University hatten sich der Leiter der geologischen Fakultät Arthur Buddington und sein Kollege Professor Harry Hess mit dem nötigen Feldgerät ausgestattet und waren zu der rund fünf Meilen entfernten angeblichen Einschlagstelle gehetzt, wo sie allerdings nur ein Häuflein verwirrter Schaulustiger antrafen.

Im gesamten Großraum New York und New Jersey häuften sich noch während der Sendung die Meldungen von panischen Reaktionen. Gläubige flüchteten sich in die Kirchen. Hunderte bestürmten die Polizeireviere. Tausende flohen in die städtischen Parks. Viele hatten ihre wichtigsten Habseligkeiten zusammengerafft und wollten wissen, wohin sie sich nun retten könnten. Andere wollten sich freiwillig an die intergalaktische Front melden. In Newark waren auf die Notrufe der Radiohörer schon Ambulanzen und Streifenwagen ausgerückt, deren Mannschaften sich mit Gasmasken gegen einen vermeintlichen Giftgasangriff der Außerirdischen ausgerüstet hatten. In den Notaufnahmen der Krankenhäuser mussten Dutzende wegen Schocks und hysterischer Anfälle behandelt werden.

Und nachdem die Sendung landesweit ausgestrahlt worden war, breitete sich die Panik bis an die Westküste aus. In San Francisco fürchteten sich Zuhörer, dass die Armee der Außerirdischen nach der Zerstörung New Yorks gen Westen vorstoßen könnte. In St. Louis versammelten sich ängstliche Menschen auf der Straße, um zu beraten, wie sie sich gegen den ausbrechenden Krieg wappnen könnten. An einigen Orten hatte das Hörspiel die Menschen so verängstigt, dass sie behaupteten, sie hätten Rauchwolken und Feuerwalzen am Horizont gesehen.

Bis heute ist die Massenpanik nach dem „Krieg der Welten“ das vielzitierte Paradebeispiel für die Macht der Medien, Phantasie und Ängste aufzupeitschen. Das Hörspiel war damals, ein Jahr vor Kriegsbeginn, auf fruchtbaren Boden gefallen. Nachrichten aus Europa hatten die Kriegsangst im ganzen Land geschürt. Technikbegeisterung und Science-Fiction-Mythen aus Comic Strips und Radiospielen hatten die Bevölkerung so weit sensibilisiert, dass sie eine so realistische Inszenierung wie Orson Welles’ „Krieg der Welten“ für bare Münze nehmen konnten. So ist die Massenpanik bis heute einzigartig geblieben.

Allerdings ist auch die moderne Mediengesellschaft gegen die Ängste vor fiktiven Gefahren nicht gefeit. Hunderttausende in aller Welt glauben auch heute noch an Außerirdische. Viele sind sogar der Überzeugung, sie seien von Wesen eines fernen Sterns entführt und wieder zurück zum Planeten Erde gebracht worden. Doch nicht nur Science-Fiction-Mythen halten sich hartnäckig.

Zu Beginn des Irakkrieges glaubten – getäuscht von der eigenen Regierung – zwei Drittel aller US-Bürger, dass ihre Nation durch ein Arsenal von Massenvernichtungswaffen in den Händen von Saddam Hussein bedroht sei. Ironie der Literaturgeschichte – ursprünglich hatte H.G. Wells seinen Roman 1898 als Satire auf die britische Kolonialpolitik geschrieben. Wie Steven Spielberg die Parabel vom Angriff auf unsere Welt ausgelegt hat, wird man nächste Woche im Kino sehen.
 


 

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