Die prägenden Stilvorlagen für das
Leben liefert die frühe Kindheit. So gesehen kann neben Eltern
mit gutem Geschmack die rechtzeitige Lektüre von Tim-und-Struppi-Bänden
als ausgesprochener Glücksfall gelten. Denn angesichts dieser
Comics prägt sich jedem lesefähigen Heranwachsenden ein
Umgang mit Kleidung ein, der mit dem Wort "maßgeblich"
nur unzureichend beschrieben ist. Der Elementargeist, den Tim,
der weltreisende Reporter mit Tolle und Hund, bei der auswahl seiner
Mode stets walten ließ, soll nun, zu seinem 75. Geburtstag
in dieser längst fälligen Würdigung zitiert und erklärt
werden. Kein zweiter gezeichneter Held betrat die Bühne
seines Wirkens von Anbeginn so tadellos gewandt wie er: Tim, Kind
der frühen 30er, trägt als Grunduniform einen Anzug mit
Knickerbocker in Braun und dazu ein weißes Hemd mit schwarzer
Krawatte, an den Füßen schwarze Socken und an jedem Ort
dieser Welt taellos geputzte braune Halbschuhe mit Schnallenverschluss. Das
war der Look, den er trug als ich ihn kennen lernte. Damals, im
ersten Band, den mir eines Tages mein Vater aus der Stadt mitbrachte.
Er hieß "die schwarze Insel" und entführte
meine kindliche Phantasie nach Schottland, wo es "Loch Lomond"
- Whisky gab und wo Tim sofort auch seine modische Anpassungsfähigkeit
unter Beweis stellte. So tauscht er auf der Spur von Geldfälschern
seine klassische Gaderobe gegen einen lokalen Kilt, um unentdeckt
zu der geheimnisvollen Insel zu gelangen. Und wie würdig, wie
weltmännisch er darin wirkte! Es war sofort eine willkommene
Abwechslung zu den Geschichten der Ducks, die bis dahin mein Leben
geprägt hatten. Selbst Donald, so liebenswert er war, blieb
Zeit seines Lebens letztendlich Ente. Auch als Wunderheld "Phantomias"
oder im besten der Lustigen Taschenbücher, betitelt
"Donald in Hypnose". Das ist der Band, mit dem Donald
seinen "fashion moment" erlebt und von den Panzerknackern
als Model gecastet wird, die ihn im Scheinwerferlicht hypnotisieren
und ihm so den Zugang zu Onkel Dagoberts Geldspeicher entlocken
wollen. Nach etlichen Look-Versuchen entscheidet sich Donald zum
Casting für einen schwarzen Rolli mit gelber Blume in der Mitte
nebst Baskenmütze und spricht zu sich selbst, er gehe nun einfach
ganz lässig als Twen. Während Donald in seinem stilsichersten
Moment zum jung gebliebenen Hipster wird, bleibt Tim stets dem einmal
gewählten Look treu. Man könnte ihn am ehesten als "Reporter-Stil"
bezeichnen. Der Begriff Reporter überhaupt. Kein Journalist,
sondern Reporter, bei Tim ein ehrenwerter Beruf (tempi passati!)
auf der moralisch richtigen Seite gegen das Verbrechen. Wie so einer
auszusehen hat, gewann durch den Jungerwachsenen auf Lebenszeit
seine entscheidende Fixierung. Ein Reporter trägt sachlich-elegante
Kleidung und bleibt dem einmal gewählten Stil so treu verbunden
wie seinem Hund, dem weißen Foxterrier Struppi, für den
er in drohenden Gefahren sein Leben zu geben bereit ist.
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Der Profireisende passt sich dabei wie bereits
erwähnt den Zielen seiner Abenteuer diskret mimetisch mit den
entscheidenden Teilen an. Sei es der Chinesenanzug im Opiumabenteuer
um den "blauen Lotos", der arktische Parka auf Polarexpedition
im "geheimnisvollen Stern" oder der Cowboylook mit kariertem
Hemd auf Amerikafahrt - immer wählt Tim pragmatische Klassiker,
um auf alle Unwägbarkeiten vorbereitet und so perfekt gerüstet
zu sein. Das Beste aber ist die Kompromisslosigkeit, mit der
Tim nie von seiner einmal gewählten Alltagsgaderobe abweicht.
Nur minimale Varianten gestattet er sich, wenn er sein Hemd in den
früheren Abenteuern ab und zu in Gelb wählt, wozu er eine
rote Krawatte, Schiebermütze und einen klassischen Zweireiher-Trench
kombiniert, den er später souverän gegen einen einreihigen
Staubmantel in Beige eintauscht und dann einfach dabei bleibt. Ganz
einfach bei sich angekommen ist er aber erst in den späten
Geschichten, im weißen Hemd mit hellblauem Rundausschnittpullover,
weißen Socken und grauen Halbschuhen. Er tritt damit den Beweis
dafür an, dass ein Mann neben einem schlauen Hund (siehe Thomas
Mann etc.) eigentlich nur einen Lieblingspullover braucht, um die
Welt zu retten. Die Hose - am "Haifischsee" und bei den
"Picaros" 1976 auch endlich einmal ganz lang statt der
störrisch gegen den Fortlauf der Zeit verteidigten Knickerbocker
- bleibt schlammbraun. Als Reporter ist Tim das Urbild des Understatement-Jet-Setters,
der auf Schloss Mühlenhof bei seinem Freund Kapitän Haddock
genauso zuhause ist wie in allen Verkehrsmitteln seiner Zeit. Und
auch sein Inneres, sein Charakter strahlt wie poliert. Die Verlässlichkeit,
mit der Tim seinen Freunden verbunden bleibt, macht ihn selbst zum
besten Freund, den man sich nur wünschen kann. Und eine alte
Regel besagt, dass es diese besten Freunde sind, denen man auf kurz
oder lang immer ähnlicher wird, auch äußerlich,
stilistisch. Wer ein Stück der schönen Welt, die Hergé
mit seinem Tintin - wie sein Original-Name lautet - für uns
gezaubert hat, in seinen eigenen Alltag retten will, greift heutzutage
am besten zu den Alben des größten Tim-Fans Stephen "Tintin"
Duffy. Und auf einen alten Trick zurück, indem er den Kleidungskauf
mimetisch wie folgt gestaltet: Brauner Anzug von Helmut Lang oder
Jil Sander, dazu einen hellblauen Kaschmirpulli von Lucien Pellat-Finet,
ein weißes Hemd von Ermengildo Zegna, Socken von Yves Saint
Laurent und graue Maßschuhe von Gucci. Oder all dies, nur
von anderen Marken. Es geht bei diesem Look nämlich nicht um
die Marken, sondern um die Klassiker, denn nur sie trotzen Weltreisen,
der Verbrecherjagd, den vielen Abenteuern. Es geht darum, seiem
Stil und seinen Freunden treu zu bleiben. Allein die Tolle bleibt
Tims ewiges Frisurgeheimnis. Wie beruhigend.
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