Gute Journalistenschule

Hergés "Tim" feiert den 75.!
Von ihm können viele Reporter wieder lernen, was sie verlernt haben: sich zu kleiden.

von Eckhart Nickel

Die prägenden Stilvorlagen für das Leben liefert die frühe Kindheit. So gesehen kann neben Eltern mit gutem Geschmack die rechtzeitige Lektüre von Tim-und-Struppi-Bänden als ausgesprochener Glücksfall gelten. Denn angesichts dieser Comics prägt sich jedem lesefähigen Heranwachsenden ein Umgang mit Kleidung ein, der mit dem Wort "maßgeblich" nur unzureichend beschrieben ist.
Der Elementargeist, den Tim, der weltreisende Reporter mit Tolle und Hund, bei der auswahl seiner Mode stets walten ließ, soll nun, zu seinem 75. Geburtstag in dieser längst fälligen Würdigung zitiert und erklärt werden.
Kein zweiter gezeichneter Held betrat die Bühne seines Wirkens von Anbeginn so tadellos gewandt wie er: Tim, Kind der frühen 30er, trägt als Grunduniform einen Anzug mit Knickerbocker in Braun und dazu ein weißes Hemd mit schwarzer Krawatte, an den Füßen schwarze Socken und an jedem Ort dieser Welt taellos geputzte braune Halbschuhe mit Schnallenverschluss.
Das war der Look, den er trug als ich ihn kennen lernte. Damals, im ersten Band, den mir eines Tages mein Vater aus der Stadt mitbrachte. Er hieß "die schwarze Insel" und entführte meine kindliche Phantasie nach Schottland, wo es "Loch Lomond" - Whisky gab und wo Tim sofort auch seine modische Anpassungsfähigkeit unter Beweis stellte. So tauscht er auf der Spur von Geldfälschern seine klassische Gaderobe gegen einen lokalen Kilt, um unentdeckt zu der geheimnisvollen Insel zu gelangen. Und wie würdig, wie weltmännisch er darin wirkte! Es war sofort eine willkommene Abwechslung zu den Geschichten der Ducks, die bis dahin mein Leben geprägt hatten. Selbst Donald, so liebenswert er war, blieb Zeit seines Lebens letztendlich Ente. Auch als Wunderheld "Phantomias" oder im besten der Lustigen Taschenbücher, betitelt "Donald in Hypnose". Das ist der Band, mit dem Donald seinen "fashion moment" erlebt und von den Panzerknackern als Model gecastet wird, die ihn im Scheinwerferlicht hypnotisieren und ihm so den Zugang zu Onkel Dagoberts Geldspeicher entlocken wollen. Nach etlichen Look-Versuchen entscheidet sich Donald zum Casting für einen schwarzen Rolli mit gelber Blume in der Mitte nebst Baskenmütze und spricht zu sich selbst, er gehe nun einfach ganz lässig als Twen. Während Donald in seinem stilsichersten Moment zum jung gebliebenen Hipster wird, bleibt Tim stets dem einmal gewählten Look treu. Man könnte ihn am ehesten als "Reporter-Stil" bezeichnen.
Der Begriff Reporter überhaupt. Kein Journalist, sondern Reporter, bei Tim ein ehrenwerter Beruf (tempi passati!) auf der moralisch richtigen Seite gegen das Verbrechen. Wie so einer auszusehen hat, gewann durch den Jungerwachsenen auf Lebenszeit seine entscheidende Fixierung. Ein Reporter trägt sachlich-elegante Kleidung und bleibt dem einmal gewählten Stil so treu verbunden wie seinem Hund, dem weißen Foxterrier Struppi, für den er in drohenden Gefahren sein Leben zu geben bereit ist.

Der Profireisende passt sich dabei wie bereits erwähnt den Zielen seiner Abenteuer diskret mimetisch mit den entscheidenden Teilen an. Sei es der Chinesenanzug im Opiumabenteuer um den "blauen Lotos", der arktische Parka auf Polarexpedition im "geheimnisvollen Stern" oder der Cowboylook mit kariertem Hemd auf Amerikafahrt - immer wählt Tim pragmatische Klassiker, um auf alle Unwägbarkeiten vorbereitet und so perfekt gerüstet zu sein.
Das Beste aber ist die Kompromisslosigkeit, mit der Tim nie von seiner einmal gewählten Alltagsgaderobe abweicht. Nur minimale Varianten gestattet er sich, wenn er sein Hemd in den früheren Abenteuern ab und zu in Gelb wählt, wozu er eine rote Krawatte, Schiebermütze und einen klassischen Zweireiher-Trench kombiniert, den er später souverän gegen einen einreihigen Staubmantel in Beige eintauscht und dann einfach dabei bleibt.
Ganz einfach bei sich angekommen ist er aber erst in den späten Geschichten, im weißen Hemd mit hellblauem Rundausschnittpullover, weißen Socken und grauen Halbschuhen. Er tritt damit den Beweis dafür an, dass ein Mann neben einem schlauen Hund (siehe Thomas Mann etc.) eigentlich nur einen Lieblingspullover braucht, um die Welt zu retten. Die Hose - am "Haifischsee" und bei den "Picaros" 1976 auch endlich einmal ganz lang statt der störrisch gegen den Fortlauf der Zeit verteidigten Knickerbocker - bleibt schlammbraun.
Als Reporter ist Tim das Urbild des Understatement-Jet-Setters, der auf Schloss Mühlenhof bei seinem Freund Kapitän Haddock genauso zuhause ist wie in allen Verkehrsmitteln seiner Zeit. Und auch sein Inneres, sein Charakter strahlt wie poliert. Die Verlässlichkeit, mit der Tim seinen Freunden verbunden bleibt, macht ihn selbst zum besten Freund, den man sich nur wünschen kann. Und eine alte Regel besagt, dass es diese besten Freunde sind, denen man auf kurz oder lang immer ähnlicher wird, auch äußerlich, stilistisch.
Wer ein Stück der schönen Welt, die Hergé mit seinem Tintin - wie sein Original-Name lautet - für uns gezaubert hat, in seinen eigenen Alltag retten will, greift heutzutage am besten zu den Alben des größten Tim-Fans Stephen "Tintin" Duffy. Und auf einen alten Trick zurück, indem er den Kleidungskauf mimetisch wie folgt gestaltet: Brauner Anzug von Helmut Lang oder Jil Sander, dazu einen hellblauen Kaschmirpulli von Lucien Pellat-Finet, ein weißes Hemd von Ermengildo Zegna, Socken von Yves Saint Laurent und graue Maßschuhe von Gucci. Oder all dies, nur von anderen Marken. Es geht bei diesem Look nämlich nicht um die Marken, sondern um die Klassiker, denn nur sie trotzen Weltreisen, der Verbrecherjagd, den vielen Abenteuern. Es geht darum, seiem Stil und seinen Freunden treu zu bleiben.
Allein die Tolle bleibt Tims ewiges Frisurgeheimnis. Wie beruhigend.

(Aus: Süddeutsche Zeitung (Nr. 25), Samstag/ Sonntag, 31. Januar/ 1. Februar 2004: Die Stilseite (Wochenende), Seite V)

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