>>Ich war auch in meiner Jugend ein bißchen Tim ähnlich<<

Stefan Wolf im Gespräch mit Hörspielheldin Petra über 25 Jahre TKKG

 

 

Woher kam Ihnen denn die Idee zu TKKG?

TKKG war zunächst einmal nicht meine Idee, sondern das war im Auftrag zu einer Jugendbuch-Reihe. Ich wollte es erst gar nicht. Ich war ein reiner Illustrierten-Autor, Reporter beim STERN. Ich habe viele Fortsetzungsromane geschrieben und vor allem Thriller, harte Romane. Und ich dachte, Jugend, nein, Kinderkram, das ist nichts für mich. Und dann packte mich mein damaliger Agent beim Ehrgeiz.
Er sagte: "Wir haben zehn Autoren, recht namhafte. Die machen alle mit. Es geht darum, ein Serienexposé, einen 30seitigen Roman, zu erstellen." Mein Ehrgeiz war angestachelt. Da habe ich die Situation, auf der TKKG heute noch basiert, entworfen - eine einfache Situation, denn nur alles Einfache funktioniert auch gut, es kommen sowieso im Laufe der Zeit immer noch mehr Randfiguren hinzu, habe mich so reingekniet und die ersten 30 Seiten geschrieben. Und dabei habe ich Blut geleckt. Es hat mir unglaublichen Spaß gemacht.
Ich merkte, daß man beim Jugendbuch doch Dinge machen kann, die in der Erwachsenenliteratur gar nicht möglich sind. Man kann Fragen stellen, man kann Themen bringen, wo jeder Erwachsene weiß, dafür gibt es keine Lösung und keine Antworten. Ein Jugendlicher kann fragen: "Papi, wieso gehen wir jetzt beide mit Mami ins dieses Gourmet-Restaurant und hauen 500 Mark auf den Kopf und da sitzen drei Bettler mit ihrem Hut und die haben die BISS vor sich und ansonsten haben sie gar nichts. Warum muß denn die Welt so sein?" Da war Papi um eine Antwort verlegen. Ich will damit sagen: Sehr viel Sozialkritik, überhaupt einfach nur Denkanstöße, nicht Lösungen, Denkanstöße sind nach wie vor in TKKG drin. Politische Kritik ist enthalten.
Ich versuche immer voll ins Menschenleben hineinzugreifen und zwar noch raumgreifender als in einem festgelegten Thriller. Jedenfalls machte es mir ungeheuren Spaß und unter den zehn [Manuskripten, die Red.] gefiel meines mit Abstand am besten. In dem Moment war die Reihe mit allem geboren.

Die Zeit, in der TKKG entstanden ist, war das auch die Zeit, in der man zu Ihnen gesagt hat, für Sie gibt es nur zwei Möglichkeiten, entweder Journalist oder Autor bei den "Drei Fragezeichen" zu werden, oder ist dies nur eine erfundene Anekdote?



"Ich habe Band eins bis fünf geschrieben und dann kam 1979 auch die Frankfurter Buchmesse - da waren TKKG schon recht erfolgreich!"

Die "Drei Fragezeichen" kenne ich bis heute nicht. Ich weiß nur, daß es die zweitstärkste Reihe ist. Die "Drei Fragezeichen" machen, sagte man mir, mehr Agatha Christie auf jugendlich und meine Krimis sind in dem Sinne ja eigentlich keine klassischen Krimis. Es sind Abenteuergeschichten, die ins Kriminelle hineinspielen. Ich würde sie eher als Thriller für Jugendliche bezeichnen, denn es ergibt sich oftmals, daß bspw. Geschäftemacher eine Giftmülldeponie verstecken oder daß irgendetwas Soziales oder Ethnisches nicht paßt. Die Probleme kommen nicht aus einem vorgegebenen Verbrechen, sondern aus den Konflikten, unter denen die Menschen nun mal alle leiden. Also ich würde eigentlich sagen, das sind Abenteuergeschichten mit einem stark kriminellen Einschlag.
Ich habe bis heute kein "Drei Fragezeichen"-Buch gelesen oder Hörspiel gehört. Außer Tom Sawyer und Karl May kenne ich nichts und ich will auch nichts kennen. Es ist zu riskant, wenn man so einen Produktionsausstoß hat wie ich. Nehmen wir mal an, ich lese ein Jugendbuch, etwa einen Michael Ende oder was weiß ich, und mir gefällt eine Idee, die sich im Hinterkopf festsetzt. Nach zwei Jahren weiß ich nicht mehr, ist das jetzt meine, habe ich es irgendwo in der Zeitung gelesen oder ...?

Wie erklären Sie sich das Phänomen, daß die Hörer Ihrer Geschichten nicht nur die 9 bis 14jährigen, sondern auch die 20 bis 35jährigen sind?

Ja, eine riesige Gruppe. Ein böses Wort: Wir leben in einer Infantilisierung der Gesellschaft. Das sind Menschen, die ihre Jugend nicht loslassen wollen. Das will zwar in dem Sinne eigentlich keiner, aber meistens entsteht dann doch im Geschmack - oder sagen wir im Kopf - und auch sonst eine Weiterentwicklung. Aber die wohlige Gefühlswelt der Geborgenheit, der Jugend, die wollen sie nicht loslassen.
Ich glaube auch Harry Potter - ich kenne ihn nicht und habe mir nur über ihn erzählen lassen - ist ein Phänomen unserer Zeit. In einer Welt, die immer ärmer und kälter, unmenschlicher und rücksichtsloser wird, in der es immer mehr Maschinen gibt und alles wegrationalisiert wird, wenn da einer kommt mit dem Zauberstab, dann ist das praktisch ein Heilsbringer, ein Erlöser in etwa. So ein bißchen ist das ja auch TKKG.
Was Tim betrifft, so habe ich mich übrigens oftmals gefragt, ob er als Charakter nicht zu stark ist. Aber ich mache unter meinen Lesern viele Umfragen und die wollen Tim so, wie er ist, ein bißchen übermenschlich. Also zumindestens einer, der seinem Alter weit voraus ist.

Stichwort "Tim als Übermensch": Viele Leser und Hörer stören sich daran, daß Tim immer die Hau-Drauf-Methode anwendet!

Er ist kein Schläger. Er handelt, wenn Sie genau hinschauen, immer in Notwehr. Ich drehe es immer so, daß er in Notwehr handelt, aber Gaby, das Weibliche, das Mütterliche, das bewahrende Element, ihn stoppt.
Ich würde ihn nicht als aggressiv bezeichnen, obwohl er schon eine gewisse Portion Härte hat. Die braucht er jedoch, um die Story durchzuführen. Und Judo allein reicht nicht mehr. Das ist ein schöner Sport, aber keine Straßenkampfmethode. Daher habe ich ihn Karate , Kung Fu und ein bißchen Kickboxen lernen lassen. Allerdings halte ich diese Szenen ganz kurz.
Und Tim erklärt, Gewalt ist niemals eine Lösung. 

In einem Interview mit der Abendzeitung sprechen Sie davon, daß Gaby Züge Ihrer eigenen Tochter hat. Bezogen auf Kommissar Glockner, Gabies Vater, sind da im übertragenen Sinne auch Eigenschaften von Ihnen zu finden?

Ich habe unsere Tochter am Anfang so ein bißchen als Vorbild genommen, auch ihren damaligen Freund, einen dunkelhaarigen Lockenkopf, der dann Finanzbeamter geworden ist (stöhnt, lacht).
Sagen wir es mal so: Ich kann manchmal nicht mehr richtig unterscheiden, ob man den Figuren die eigenen Wunschvorstellungen gibt oder wirklich vorhandene Eigenschaften. Tim hat sicherlich meine ganze Philosophie vom Leben, wie man miteinander umgehen sollte, wie man sich der Zeitkritik stellt - das bin absolut ich. Ich war auch in meiner Jugend ein bißchen Tim ähnlich, obwohl ich natürlich nicht so viel erlebt habe. Von der Einstellung, wie man eine Familie händelt, von der Arbeitswut und so ist sicherlich schon eine ganze Menge von mir in Kommissar Glockner eingeflossen. Bloß der ist einen Kopf größer und sieht wesentlich besser aus, ist also ein toller Typ.

Wie verhält sich das bei Karl und Klößchen?

Karl und Klößchen sind eigentlich das Kontrastprogramm. Sie sind beides Karrikaturen. Mit Klößchen wollte ich folgendes zeigen: Da kann einer voller Fehler sein - er ist verfressen und ich bremse es ja schon immer - und trotzdem so sympathisch, wenn er einen guten Charakter hat. In den ersten Romanen ist Klößchen immer so eine Mischung: leicht bescheuert oder bauernschlau.
Und Karl ist derjenige, bei dem ich einfach das erforderliche Wissen abrufe. Der hat ein Computergehirn und außerdem alles, was gebraucht wird und setzt es da voll ein. Der ist wieder der ganz andere. Inzwischen haut der auch schon mal mit zu, nicht so wie in den ersten Romanen, wo er immer ganz hinten steht. In den letzten 20, 30 Büchern habe ich jedoch alle ein bißchen mehr in die Normalität geführt mit ihren einzelnen Schwerpunkten.

Alfred Hitchcock hatte in seinen Filmen oft kleinere Gastauftritte. Wie sieht das denn bei Ihnen aus, haben Sie schon einmal daran gedacht, mitzusprechen?

Ich habe gerade den Verlag gewechselt und bin seit 1. Juli nicht mehr bei PELIKAN, sondern bei Random House, Bertelsmann.
Damit steht mir jetzt auch der amerikanische Markt offen - den hat Harry Potter, den hatte ich bisher nicht. Und in dem Vertrag steht unter anderem, daß, sollte es zu Hörbüchern kommen, ich verpflichtet bin, diese Bücher auch selber zu sprechen, wobei ich nicht weiß, ob es gut wäre, das zu machen. Gerade der Chef von BMG hat schon oft gesagt, du mußt mal eine Rolle sprechen, schreib mal eine Rolle für einen Autor und sprich das dann selber. Vielleicht mache ich das mal, das ist durchaus möglich. Lust hätte ich schon.

Der amerikanische Markt ist Ihnen bislang verschlossen geblieben. Es gibt aber viele andere Länder, in denen Sie sehr erfolgreich sind.

Ja, überall. Nennen Sie mir eine deutschen Autor, der in Amerika publiziert, ich weiß keinen. Können Sie mir einen deutschen Film nennen, der dort Furore machte? Ich kenne auch keinen.

Ja, "Lola rennt".

"Lola rennt"! Ja, stimmt. Aber es sind ganz wenige.
Ich war mit dem New Yorker Verlag, der Harry Potter herausgebracht hat, vor dem ersten Harry Potter in Verhandlung und die waren sehr geneigt. Sie hatten schon 10 Stück gelesen, aber ich bin dann hinten runter gefallen. Sie haben Harry Potter genommen mit der englischen Autorin, da sich dies ihrer Meinung nach mehr ihrer Mentalität entsprach, obwohl sich TKKG von der Mentalität her hundertprozentig für den amerikanischen Markt geeignet hätte: viel Action, Klamauk, ein bißchen Pathos, die Freundschaft, das soziale Gefüge. Na ja, wir werden sehen.

Stichwort "Harry Potter". Ich habe  über die Autorin von Harry Potter, J.K. Rowling, gelesen, die Freundinnen ihrer Töchter seien immer bei ihr auf der Matte gestanden um zu erfahren, wie es weitergehe. Schließlich hat Rowling ihre Manuskripte in einen Tresor gesperrt.
Wie war das bei Ihnen, wollten die Freunde Ihrer Tochter auch ständig wissen, wie die Geschichten weitergehen?

Ja, das ist heute noch so. Ich bekomme sogar von Eltern Anfragen und der Buchhandel fragt sowieso.
Ich habe viele Fans, die haben Band 1 bis Band 100 und auch diese Anthologien, die Dreifachbände, diese Leckerlies - für wenig Geld viel Buch. Das sind nochmal insgesamt 16 im Taschenbuchformat. Es gibt aber auch welche, die haben 144 Kassetten und die wissen Bescheid, wo was los ist. Das weiß ich alles gar nicht mehr.

Wie geht es denn weiter?

Spätestens Anfang nächsten Jahres kommen die beiden nächsten Bücher. Die Themen und Titel stehen fest, aber fragen Sie mich jetzt nicht. Der eine heißt glaube ich "Nonstop in die Raketenfalle", eine verzwickte Geschichte.

Hat dieses neue Buch einen zeitgeschichtlichen oder historischen Einfluß?

Ich arbeite sehr stark dem aktuellen Alltag zu. Viele Themen ziehe ich aus der Zeitung und forme sie natürlich oft so um, daß sie nicht erkennbar sind. Zum Beispiel schreibe ich jetzt an einer Geschichte, da fielen mir zwei kleine Meldungen - ich glaube es war sogar in der Süddeutschen - auf.
Und zwar das Haussitting bzw. Haussitter immer moderner werden. Da dachte ich mir wunderbar, durch einen Job kommen TKKG da rein. Und in einer anderen Meldung, da hat ein Bagger ein altes Abbruchhaus abgerissen und findet unter der Diele einen Schatz mit 5 Millionen DM, DM! Das beides zusammen wird bei mir ein Hörspiel geben, das wahrscheinlich in zwei Monaten kommen und "Das unheimliche Haus" heißen wird.

Die Geschichten liegen also tatsächlich auf der Straße?

Die liegen auf der Straße. Dann recherchiere ich natürlich und telefoniere recht viel herum, manchmal so lächerliche Sachen wie "Wie schwer ist ein sibirischer Königstiger"? Ja, ehrlich, Sie glauben nicht, das war, Band 17, glaube ich, "In den Klauen des Tigers".
Also, die Geschichten liegen auf der Straße. Ich nehme sie aus eigenen Lebenserfahrungen, gerade wenn man viel als Reporter und Journalist gearbeitet hat. Und ein Autor und ein Journalist sollte immer eines, auch wenn er oft viel redet und oft sehr aktiv gefragt ist: Beobachten. Das Leben beobachten. Typen, Situationen, typische Verhaltensweisen. Ich höre manchmal im Bus oder irgendwo in der Bahn drei, vier Sätze fallen. Und ich denke: "Mein Gott, das ist ein Plot! Das ist ein Plot!!"

Interview: Petra Umlauf - Photos: Julian Purtz
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