Rafik Schami

Einer, der immer wieder auszieht, um Geschichten zu erzählen. Rafik Schami, Doktor der Chemie und seit 1982 freier Schriftsteller in Deutschland, nennt es "Verführung der Zuhörerschaft mit der Zunge" und er spricht auch vom Respekt, den der Erzähler vor seinem Publikum haben sollte.

Seine Geschichten handeln von Themen der Zeit, vorgetragen als Märchen und Fabeln aus dem Orient.
Dort wird er als Suheil Fadél 1946 in Damaskus geboren. Bäcker, wie seine Vorfahren, will er nicht werden. Er lernt sein Handwerk, wie auch später eine seiner Romanfiguren, von den Erzählern auf der Straße. Er schreibt Beiträge für die Schülerzeitung und ist später Mitbegründer der Wandzeitung "Al Muntalak" im alten Viertel seiner Geburtsstadt. Schwierigkeiten des politischen Journalismus in Syrien lassen ihn 1971 nach Deutschland emigrieren.
Er studiert Chemie und Pharmakologie in Heidelberg, promoviert und arbeitet in der chemischen Industrie. Mit den Gruppen "Südwind" und "PoLiKunst" ist er Mitbegründer der sogenannten Gastarbeiter-Literatur. 1978 erscheint unter dem Titel "Andere Märchen" sein erstes Buch in deutscher Sprache.
Mittlerweile sind seine Bücher vielfach ausgezeichnet und werden in 22 Sprachen übersetzt.

Jutta Bär (Redaktion, 3sat)

Rafik Schami ist ein moderner Fabulierer, ein Märchenerzähler, aber vor allem auch ein Aufklärer und Kämpfer für eine bessere Welt. Dafür gebraucht der gebürtige Syrer, der schon seit Jahren im deutschen Exil lebt, weil ihm das in seinem Land vorherrschende Regime die Luft zum Erzählen und damit zum Leben genommen hätte, nur die Macht der Worte - Märchen, Fabeln und Geschichten. Diese fürchten die Machthaber in seiner Heimat so sehr, daß Schamis Werke in Syrien bis heute nicht veröffentlicht werden durften und dem Schriftsteller sogar zur Beerdigung seiner Eltern die Einreise untersagt worden ist.

"Der Erzähler ist ein Zauberer. Ich bin ein Zauberer, das weiß ich. Wenn ich auf der Bühne stehe, kann ich siebenhundert skeptische Leute in Kinder verwandeln. Ihre Augen werden groß, sie lächeln, ihre Haltung ist gelassen und voller Zuneigung. Turban, Pumphose und Schnabelschuhe brauche ich nicht dazu. Es reicht die Schönheit des Wortes. Die Ideen und Geschichten sind in mir gepresst wie eine Feder. Wenn ich erzähle, entspannt sich die Feder. Danach bin ich erschöpft, aber ich fühle mich leicht und weich und sehr glücklich."
So beantwortete Rafik Schami im Gespräch mit dem Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt die Frage, was denn so schön sei am Erzählen (DS, 23. Juli 1999 Nr. 30/ 1999).

Diese Freude spürt man sofort nach den ersten gelesenen Sätzen. Gerne läßt man sich von diesem Zauberer in eine fremde, bunt schillernde und doch so vertraute Märchenwelt entführen, aus der man gereinigt zurückkehrt. Denn obwohl es sich um Gleichnisse für oft sehr bittere gesellschaftliche Zustände handelt, sind Schamis Erzählungen poetisch und von einer glückerfüllten Leichtigkeit. Sie führen Leser wie Hörer vor Augen, wie wenig notwendig ist, um im Leben zufrieden zu sein, aber sie zeigen auch auf, wie verletzlich dieses Glück ist.

Mit zwei Geschichten aus der Feder des modernen Märchenerzählers, meisterhaft vertont vom Bayerischen Rundfunk, garantiert der Terzio-Verlag ein Hörvergnügen der besonderen Art: "Das Schaf im Wolfspelz" (vorgetragen von Horst Raspe) und "Fatima" (Lampert Hamel). Einen tiefen Eindruck hinterläßt das erste Märchen: Man erkennt sich selbst im Schaf, das sich einen Wolfspelz umhängt und aus Geltungssucht zu den Wölfen geht, denn wie oft strebt man nach dem Unerreichbaren, das vermeindlich Anerkennung garantiert. Natürlich muß es mit den Wölfen heulen, Schafe jagen und fressen, aber nachdem die ersten Skrupel überwunden sind, gelingt ihm das erstaunlich gut. Schnell vergisst das Schaf seinen Ursprung, obwohl es in der Herde eigentlich ein glückliches Leben geführt hatte.

Daß die sagenhaften Heldentaten, mit denen das Schaf im Wolfspelz seine ehemaligen Kameraden ans Messer liefert, nicht lange gutgehen können, ist zu erwarten. Trotzdem ist der Hörer überrascht über das traurige Ende des Märchens, erschreckt, als die Wölfe dem scheinbar so listigen Schaf auf die Schliche kommen und es erbarmungslos fressen. Woher kommt dieses Entsetzen? Ist es die poetische Leichtigkeit, mit der Schami dieses grausame Ende erzählt? Liegt es darin begründet, weil in seinem Märchen nicht der Konflikt zwischen Gut und Böse, Schwarz und Weiß, Schaf und Wolf zugunsten des Guten gelöst wird?
Schami zwingt uns in dieser Geschichte auf sanfte Art zu der Erkenntnis, daß Glück, Zufriedenheit und Selbstvertrauen aus dem Einzelnen selbst erwachsen muß und nicht durch die Anpassung an die vermeintlich Stärkeren erreicht werden kann.

Um glücklich zu sein, braucht man nicht viel, aber das Glück verlangt Grenzen und Bescheidenheit - und Leichtigkeit, wie der Autor im Gespräch mit dem Allgemeinen Deutschen Sonntagsblatt weiter ausführt. Die einfache Lebensweisheit Rafik Schamis, des Vermittlers zwischen einer spielerischen Leichtigkeit des Orients und einer asketischen Strenge des christlich geprägten Okzidents, sollten wir unbedingt beherzigen.

Michael

Hörbuch auf Audio-CD 

Autor: Rafik Schami

Regie: Josef Manoth
Sprecher: Horst Raspe und Lambert Hamel



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