Sie waren die heimliche Gewinner der Hörspielhelden-Redaktion beim Prix Hörverlag 2006, das Berliner Autoren-Duo SEROTONIN (Marie-Luise Goerke und Matthias Pusch). "Scheitern für Fortgeschrittene" (WDR 2005) heißt das seinerzeit mit dem zweiten Platz prämierte Stück, in dessen Mittelpunkt der Arbeitslose Christian Fennbauer steht. Allerdings ist "Fenner" - das läßt bereits der Titel der Produktion vermuten - alles andere als ein Held im klassischen Sinne.

Sozialisiert in der Leistungsgesellschaft des ausgehenden 20. und jungen 21. Jahrhunderts, muß sich der von Stefan Kaminski wunderbar schnoddrig gesprochene Protagonist im Laufe der Handlung eingestehen, daß seine einzige Begabung ironischerweise in keiner Begabung liegt: Durchfallen, verlieren, scheitern, auf eine kurze Formel gebracht sind das die drei Top-Eigenschaften, die Fenner auszeichnen. Sein einziger Wunsch: Das Leben zurückspulen, manche Dinge anders, nein, besser machen. Doch im Scheitern kann, wie die Geschichte zeigt, auch großes Potential stecken, frei nach dem Motto: Aus Scheitern wird man klug. Warum also aus der Not keine Tugend, aus dem Versagen eine Profession machen. Mit einem russischen Mafioso als Geldgeber und einer ehemaligen Jobber-Kollegin als hartgesottener Kursleiterin gründet der einstige "Loser" eine "Akademie des Scheiterns", und das frei von jedem "Bussines Plan". Was im ersten Moment wie eine todernste Utopie der Krisis anmuten will, entpuppt sich schnell als eine Verkehrung des Erfolgszwanges, die den Zuhörer trotz oder gerade wegen aller Ernsthaftigkeit zum Lachen bringt.


Serotonin (Matthias Pusch und Marie-Luise Goerke)
© Andrea Brehme

Mit Hilfe von Original-Tönen, in denen Menschen über ihr ganz persönliches Scheitern sprechen, gewinnt das Thema des Hörspiels auch produktionstechnisch an großer Authentizität, welche eine ganze Bandbreite menschlichen Versagens in knapp einer Stunde ausleuchtet. So findet etwa die Ballerina, die aufgrund ihrer Körpermaße zu allem, nur nicht zur Tänzerin taugt, oder der Single mit schlechten One-Night-Stands ebenso Berücksichtigung wie der Etymologe, der die entwicklungsgeschichtliche Herkunft des Begriffes "Scheitern" erklärt. Erzählt wird hierbei nicht streng chronologisch, sondern mit zeitlichen Sprüngen sowie einer Art "klassischem Chor", der das Geschehen zumeist sarkastisch kommentiert: "Heul doch - mal verlierst Du, mal gewinnen die anderen." Doch was keiner vermutet hat, tritt ein. Fenner's Akademie hat Erfolg. Aber mit der Blitzkarriere kehren auch die Schattenseiten in das Leben des öffentlich ausgezeichneten Jungunternehmers ein, die vor allem seine Ehefrau Anke (Susanne Arnold) in Form von Zeitmangel und Selbstentfremdung zu spüren bekommt.
Was ist Film, was ist Realität, was heißt eigentlich erfolgreich sein und wie hoch ist der Preis, den man selbst dafür bereit zu zahlen ist. Fragen, die sich sowohl der einstige Verlierer als auch mancher Zuhörer am Ende selbst ernsthaft stellen müssen. Zwischen ernsthafter Sozialstudie und ironischem Abziehbald unserer Gesellschaft angesiedelt, entlarvt "Scheitern für Fortgeschrittene" (nicht nur) berufliche Wertvorstellungen, denen oftmals nur noch mit einem Augenzwinkern beizukommen ist.

Ein inhaltlich und produktionstechnisch außergewöhnliches, aber dabei über gängige Konzepte hinausgehendes Hörspiel experimenteller Art, erschienen 2007 im Audio Verlag Berlin.

Petra

 

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